Grund #1: It’s all there
Entgegen der landläufigen Meinung, aufräumen könne jede/r – es ginge sowieso nur darum, den ganzen Kram, den man besitzt grob durchzugehen und anschließend in fancy Boxen zu packen, die man danach mit extrem hilfreichen Wörtern wie „Schuhe“ beschriftet – handelt es sich beim Ordnungschaffen, wenn man es denn ernsthaft durchführen will, um einen ziemlich komplexen Prozess. Langfristige Ordnung lässt sich nur bewerkstelligen, wenn man psychologisches Hintergrundwissen hat, mindestens aber bereit zu tiefgehender Reflexion ist. Außerdem ist es elementar, dass einzelne Schritte wie Dinge sichten, kategorisieren, ausmisten, verstauen und organisieren sowie eventuell verschönern bzw. dekorieren und im besten Fall Systeme etablieren und diese beibehalten in einer bestimmten Reihenfolge, und zwar ebendieser, durchgeführt werden. Es ist offensichtlich, dass ausmisten vor verstauen kommt und es deshalb überhaupt keinen Sinn macht, bereits VOR dem Aufräumprozess sogenannte Organizer anzuschaffen. Wie viele denn überhaupt? Und in welcher Größe/Höhe?
Ich stelle außerdem immer wieder fest, dass wir meistens genug Boxen, Kisten und Schachteln bereits besitzen, die wir für die neue Organisation der Dinge benötigen. Einmal räumte ich zum Beispiel mit einer Klientin den Kleiderschrank ihres zweijährigen Sohnes aus. In diesem befand sich genau eine Box, in die allerdings genauso wie im Rest des Kleiderschrankes die Kleidungsstücke wahllos reingeworfen wurden. Während die Klientin nach und nach die Kinderkleidung nach der KonMari® Methode faltete, machte ich mich in der Wohnung auf die Suche nach weiteren Boxen, die wir für den Kleiderschrank verwenden konnten. Es war erstaunlich, dass wir am Ende nicht nur exakt die Anzahl an Boxen gefunden hatten, die wir brauchten, und dass sie größentechnisch genau für kurze Hosen, Shirts, Bodys usw. passten, sondern auch, dass sie bis dahin nicht wirklich sinnvoll genutzt wurden (z.B. einfach leer in der Abstellkammer herumlagen oder ein Sammelsurium an Dingen enthielten, dass wir entweder ganz ausmisteten oder neu organisierten, sodass die Boxen freiwurden), weshalb sie förmlich danach riefen, endlich eine würdevolle Verwendung zu finden.
Also, geh auf Streifzug durch deine Wohnung und schau nach, was du als Box benutzen kannst. Zur Not tut es zunächst auch ein Schuh- oder sonstiger Pappkarton. Austauschen kannst du den später immer noch.
Grund #2: Reduzieren statt Organisieren
Auch wenn Minimalismus nicht das Ziel der KonMari® Methode ist und ich persönlich mich eher als Midimalistin bezeichnen würde, bin ich ein Fan davon, dem Reduzieren zunächst mal mehr Aufmerksamkeit zu geben als dem Organisieren. Wir werden leicht dazu verleitet, uns Aufbewahrungssysteme jeglicher Art anzuschaffen, weil sie so hübsch sind und sooo praktisch. Dabei geht es nicht nur um Organizer. Der Kauf eines größeren Kleiderschranks, weil der kleinere aus allen Nähten platzt, das Aufstellen eines weiteren Regals, damit alle Bücher darin Platz finden, der Erwerb luftdicht verschlossener Säcke, damit alles, was ich jetzt gerade nicht brauche, IRGENDWANN aber garantiert vermissen werde, auf dem Dachboden eingelagert werden kann – all das sind Beispiele dafür, wie man sich von der auf den ersten Blick einfacheren und schnelleren Lösung hat überzeugen lassen. Man schafft mehr Stauraum an, anstatt zu überlegen, welche Dinge eigentlich wirklich verstaut werden müssen, weil man sie wirklich noch behalten will. Im Prinzip ist das blinde Erweitern des Stauraums eine Ausrede dafür, sich nicht mit seinem Besitz und damit sich selbst beschäftigen zu müssen. Klar ist es unkomfortabel, sein Konsumverhalten zu hinterfragen, natürlich kann für kurze Zeit Unsicherheit bestehen, wenn ich Dinge loslasse, an die ich mich sonst geklammert habe. Aber es lohnt sich. Es lohnt sich so sehr!
Überlege dir, ob du ein Gewürzkarussell für 27 verschiedene Gewürze brauchst, von denen du nur eine Handvoll regelmäßig verwendest. Oder ob du die Anzahl soweit reduzierst, dass sie ganz normal im Gewürzfach stehen können, ohne einen weiteren Organizer für sie zu brauchen. Hinterfrage, welche Bücher dir wirklich Freude bereiten und welche dich als der Mensch repräsentieren, der du jetzt gerade sein willst. Lass die übrigen los, damit du kein weiteres Regal brauchst. Wie viele Boxen mit der Beschriftung „Schuhe“ machen in deinem Leben Sinn? Es ist selbstverständlich immer eine ganz individuelle Frage, auf die du ganz individuell antworten darfst. Ich ermutige dich hiermit nur dazu, einmal BEWUSST zu entscheiden, wie du leben willst. Vielleicht stellst du ja fest, dass es dir reicht, die Schuhe, die du zur entsprechenden Jahreszeit gerne trägst, offen im Fach stehen zu haben, und die anderen, die gerade nicht zur Saison passen, einzuboxen. Kein Problem, solange du dich bewusst entscheidest und nicht einfach nur Organizer kaufst, weil du keine Lust hast, dich mit deinen Dingen auseinanderzusetzen.
Grund #3: Abwarten, Tee trinken!
Find mich radikal, aber ich rate dir auch davon ab, in der nächsten Zeit NACH dem Aufräumprozess Organizer zu kaufen. Meiner Meinung nach ergeben sich ganz automatisch durch den Prozess Verstaumöglichkeiten, die du vorher gar nicht auf dem Schirm hattest (das ist Teil der Magie des Aufräumens, s. Grund #1), oder du gewöhnst dir durch den Prozess an, deine Dinge regelmäßig daraufhin zu überprüfen, ob sie dir noch Freude bereiten (joy check!), sodass du mit der Zeit immer wieder mal etwas aussortierst, was die Anschaffung von Organizern obsolet macht (s. Grund #2).
Nun könnte es ja aber auch so sein, dass doch noch die ein oder andere Box fehlt, in die du gerne deine Socken einsortierten würdest. Entweder nimmst du tatsächlich erstmal den Pappkarton, um dein neues Ordnungssystem eine Weile auszuprobieren. Es kann gut sein, dass du im Alltag feststellst, dass du die Anordnung doch nochmal ändern möchtest. Möglicherweise tauschst du Boxen, organisierst um, faltest die Socken anders – wie auch immer. Die finale Ordnung muss sich oft erst einspielen. In diesem Fall ist es gar nicht schlecht, dass du erstmal nur Pappkartons verwendet hast, so kannst du nach Belieben umjustieren und herausfinden, welche Größe, Höhe und Form für deine Zwecke optimal ist.
Ein anderer Fall wäre der, dass du deine gesamte Wohnung von oben bis unten gecheckt hast, aber wirklich nichts Brauchbares mehr finden konntest. Und hier kommt der schwerste Part: Warte ab! Verstau die Socken (oder was auch immer) erstmal lose in der Schublade und vertraue darauf, dass die Lösung in dein Leben kommen wird. Du weißt nicht wann, du weißt nicht in welcher Form – und das ist teilweise wirklich schwer auszuhalten – aber das Gesetz der Anziehung besagt, dass du das in dein Leben ziehst, was du wirklich willst, wenn deine Gedanken und Gefühle übereinstimmen. Bei mir hat es schon so oft geklappt. Probiere es doch mal aus, sei unkonventionell und lass los. Es würde mich nicht überraschen, wenn du bald auf der Straße eine „Zu verschenken“-Kiste findest mit Aufbewahrungsboxen genau in der passenden Farbe und Größe. Oder wenn dir deine Freundin demnächst Organizer vererbt, die sie nicht mehr braucht. Geduld zahlt sich meistens aus!
Grund #4: Konsumkritik
Die 5 Rs sind nicht nur bekannt aus der Zero Waste-Bewegung, sondern gelten allgemein als die wichtigsten Pfeiler in der Müllvermeidung. Die Massen an Müll, maßgeblich entstanden durch unser Konsumverhalten, wirken sich extrem negativ auf die Ökosysteme unseres Planeten und damit letztendlich auch wieder auf uns selbst als Menschen aus. Refuse, Reduce, Reuse, Recycle und Repair (ablehnen, reduzieren, wiederverwenden, recyceln und reparieren) helfen dabei, zu hinterfragen, was wir wirklich brauchen, und eine erst produzierte bzw. erworbene Sache so lang wie möglich im Kreislauf des Benutzens zu halten.
Für mich persönlich ist der Prozess des Aufräumens und Ordnungschaffens zutiefst nachhaltig bzw. nicht zu Ende gedacht, wenn man sich nicht auch mit den Konsequenzen auseinandersetzt, die unser Konsumverhalten auf unsere Erde und uns selbst hat. Auch im Bereich der Aufbewahrung zu schauen, was man wirklich benötigt, Vorhandenes zu nutzen, eventuell den Besitz zu reduzieren und einfach mal abzuwarten und nicht sofort zu kaufen, ist für mich selbstverständlich und gelebte Nachhaltigkeit. Wenn uns Protagonist*innen bekannter NETFLIX-Serien dazu verführen wollen, (teure) neue Organizer anzuschaffen (s. Grund #5), dann werde ich direkt stutzig und denke: Jetzt erst recht NICHT! Innehalten und Widerstehen – Impulskontrolle ist wahres Selbstbewusstsein und so mächtig! Probiere es mal aus.
Grund #5: Das liebe Geld
Last but not least – Organizer (und ich verwende hier bewusst dieses Wort) kosten Geld. Ich habe mein Geld zu gern, um es für Dinge auszugeben, die durch ein bisschen Nachdenken, Nachschauen und Nachjustieren überflüssig werden. Es gibt in den USA ein ganzes Imperium an Boxenherstellern, die uns weismachen wollen, dass wir nur glücklich werden, wenn unsere Schränke und Fächer alle nahezu identisch aussehen, clean, cool, einheitlich. Und die hohe Anzahl von Sucheingaben bei Amazon und co. belegen, dass diese Firmen sehr gutes Marketing machen. Mindestens so wichtig ist es, sämtliche Dinge in Regenbogenfarben anzuordnen und, falls sie noch nicht selbst in Regenbogenfarben daherkommen, unbedingt Verpackungen auszuwählen, die sich in dieses Schema einfügen. Wenn man statt losem Tee (nachhaltiger, oft höhere Qualität) mit Absicht verpackten Tee kauft, damit er sich in ein Farbensystem einfügt, geht mir das optische Organizern entschieden zu weit. Vor allem, und das muss man sich wirklich gründlich überlegen, kosten diese ganzen Sachen Geld. Natürlich kannst du dir dank toll designter Online-Shops toll designte Stiftehalter, Dokumentenablagen oder Systeme zum Aufbewahren von Kabeln und Ladegeräten kaufen. Du kannst dir ein Trockengestell für deinen Spülschwamm, eine Halterung für all deine Schlüssel oder einen Schmuckkasten mit drei ausklappbaren versteckten Ebenen kaufen. Oder du kannst es lassen.
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