Große Sammlungen
Zurzeit kann man in der Hamburger Kunsthalle eine Ausstellung anlässlich des 250. Geburtstages des Künstlers Caspar David Friedrich besuchen, die mehr als 160 seiner Werke sowie zusätzlich Werke anderer Künstler*innen umfasst. Ich besuchte die Ausstellung mit Freunden an einem Donnerstagabend, an dem das Museum rappelvoll war. Da es bei so vielen Menschen nahezu unmöglich war, in Ruhe jedes Bild anzuschauen, beziehungsweise ich keine Lust und nicht die nötige Sehstärke hatte, um aus fünf Metern Entfernung ein Gemälde mit millimeterkleinen Details anzuschauen, suchte ich mir eine andere Beschäftigung: Das Beobachten der Menschen. Ich war gerade in meine Beobachtungen vertieft, als ich an einer Wand einen Text über Sammlungen und das Sammeln allgemein bemerkte. Er sprach nicht nur von der Leidenschaft des Sammelns, sondern auch von Charakterformung, Gehirntraining und wofür das Sammeln noch alles gut wäre. Das weckte mein Interesse, schließlich hatte das Sammeln bei mir bis dato ein eher staubiges Image. Zudem hatten auch meine Beobachtungen ergeben: Auch wenn sie alle sehr unterschiedlich waren, eins hatten die Besucher*innen der Ausstellung alle gemeinsam: Sie bezahlten Geld und nahmen sich einen Abend frei, um sich eine Sammlung anzuschauen. Wenn große Sammlungen sich solcher Beliebtheit erfreuen, warum sollten die kleinen, privaten dann verschmäht werden?
Kein Sammelsurium
Also, lasst uns das Thema etwas genauer anschauen. Erstens kann festgehalten werden, dass grundsätzlich ALLES gesammelt werden kann und bestimmt auch von irgendwem gesammelt wird. Die Leidenschaft hört dabei keinesfalls bei Briefmarken auf, gesammelt werden auch Autogramme, Stofftiere, Musik, Pflanzen, Tüten – was auch immer. Ich selbst habe als Kind Servietten gesammelt. Ganz normale Papierservietten, deren Muster ich schön fand (und ja, auch wenn ich das Sammeln längst aufgegeben habe, gibt es die Stapel Servietten heute noch, ohne dass ich konkret wüsste, wozu ich sie benutzen soll). Zweitens ist Sammeln unabhängig vom Geschlecht möglich (wie schön!), weshalb es natürlich nicht nur Männer gibt, die diese Leidenschaft hegen (s. mein eigenes Beispiel). Drittens gibt es unterschiedliche Beweggründe für das Sammeln: Manche betreiben das Sammeln fast schon professionell als Wertanlage (da stehe ich mit meinen Servietten nicht so gut da), andere aus Nostalgie oder einfach, weil sie das Hobby mögen. Aber was für mich das Entscheidende war, um den negativen Beigeschmack wegzuradieren, den ich selbst dem Sammeln gegeben hatte, ist die Tatsache, dass eine Sammlung eben kein Sammelsurium ist.
Das Wort Sammelsurium wird von Duden definiert als „etwas, was sich mehr oder weniger zufällig beieinander findet und von unterschiedlicher Art und Qualität ist“, Synonyme seien „Allerlei“ oder „buntes Durcheinander“ – also genau das, was wir beim Aufräumen immer so gerne beseitigen wollen. Und das komplette Gegenteil einer Sammlung! Eine Sammlung zeichnet sich eben gerade durch ein absichtsvolles Vorgehen (im Unterschied zur planlosen Zufälligkeit eines Sammelsuriums) aus. Eine Sammlung ist keine willkürliche Anhäufung von Dingen, über die man die Kontrolle verloren hat. Im Gegenteil werden für eine Sammlung die Dinge meist in einer bestimmten Ordnung zusammengetragen. Außerdem vereint eine echte Sammlung Elemente gleicher Art mit meist hoher Qualität. Doch das Thema kann noch mehr Pluspunkte sammeln…
Tugenden des Sammelns
In einem interessanten Artikel für das Onlinemagazin kultur.west schreibt Diplom-Psychologe Dr. Jens Förster über das Sammeln, es habe Erlebnischarakter und es würde Spaß und sogar glücklich machen. Eine wichtige Komponente sei auch, dass es gleich zwei unserer Grundbedürfnisse – nämlich das nach Gemeinschaft und das nach Selbstwert – erfülle, indem es einerseits eine Verbindung herstelle zu Peers, die das Gleiche sammeln und mit denen man sich darüber austauschen kann, und andererseits die Individualität durch die Einzigartigkeit der eigenen Sammlung betone. Sammeln sei zudem ein starker Ausdruck von Identität, der beständig ist – meist über einen langen Zeitraum – und dem Modeerscheinungen in der Regel nichts anhaben können. Mir wird beim Lesen immer klarer, dass Sammeln und Ordnung eher Hand in Hand gehen, ja, dass Sammeln sogar minimalistische Züge haben kann. Jetzt wird die ein oder andere sagen: Moment mal, wie kann eine 3000 Überraschungseierfiguren umfassende Sammlung minimalistisch sein? Naja, in den Werten, die dahinterstecken. Gut, bei Ü-Eiern weiß ich es tatsächlich nicht, aber bei vielen Sammlungen geht es ja gerade nicht um Instant Gratification und willkürliches Anhäufen von Kram. Zunächst einmal entscheidet man sich bewusst für etwas, was man sammeln möchte. Oder es ist mehr ein Bauchgefühl, das man hat und das einen zu bestimmten Dingen hinzieht. Auf jeden Fall sammelt man etwas, weil es joy sparkt. Das ist schonmal ein sehr wichtiger Punkt. Ich glaube, wenn jemandem die eigene Sammlung keinen Spaß mehr machen würde, würde er oder sie einfach aufhören (es sei denn, es handelt sich um krankhaftes Sammeln, was es natürlich auch geben kann, aber darum soll es hier nicht gehen). Als nächstes muss man ein ziemlich konkretes Konzept davon im Kopf haben, was in die Sammlung passen könnte und was nicht. Gerade für Kinder, die vielleicht gerade anfangen etwas zu sammeln, kann das schon eine tolle gedankliche Leistung sein. Man fragt dann nämlich automatisch auch nach der Qualität der Sache. Den meisten Sammler*innen ist nämlich nicht so sehr die Quantität wichtig, sondern eben der Wert der Objekte. Es ist daher üblich lange, mitunter sehr lange, zu warten, bis das nächste Sammlerstück gefunden ist. Das Ausrichten auf die eigene Freude, das bewusste Entscheiden, was man anschafft, und das geduldige Warten bis zum perfekten Gegenstand sind Tugenden, die für ein aufgeräumtes Zuhause von großem Wert sind.
Neue Kollektion gefällig?
Sammler*innen kümmern sich in der Regel auch gut um ihre Schätze. Das heißt, sie werden hübsch präsentiert, zumindest aber pfleglich aufbewahrt, staubfrei gehalten, anderen gezeigt oder auf andere Art wertgeschätzt. Auf jeden Fall ist man stolz, und das bekommen die Dinge auch zu spüren. Sammeln ist eine vielschichtige Leidenschaft, die zu einer hohen „Selbstkomplexität“ beitrage, wie Förster es formuliert. Eine Leidenschaft, die uns dazu anrege, neues Wissen zu erlangen und gleichzeitig auch so etwas wie „ein Puffer gegen Krisen und Stress“ sein kann. Das ist doch toll, denke ich mir. Und es erscheint daher nur logisch, dass das Sammeln jeglichen minimalistischen Trends trotzt und sich seit jeher großer Beliebtheit erfreut. Ich plädiere für ein (Ver)Sammlungsrecht für alle. (Ver)Sammelt um euch herum, was ihr liebt. Warum solltet ihr in eure Leben etwas anderes lassen als Unikate und qualitativ hochwertige Gegenstände, die perfekt passen? Wenn ihr all eure Gegenstände wie Sammlerstücke behandelt, seid ihr perfekt vorbereitet, um jeglicher Unordnung vorzubeugen. Lasst euch inspirieren und inspiriert andere, indem ihr wieder mehr kuratiert, was ihr besitzt.
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